Jan Sparsam, Sarah Nies, Hanno Pahl (2017): Der Aufstieg der New Classical Macroeconomics. Zum (un-)gleichzeitigen Wandel von Steuerungsparadigmen in der Makroökonomik und in Zentralbanken. In: Geschlossene Gesellschaften - 38. Kongress der Deutschen
Der Aufstieg der New Classical Macroeconomics
Zum (un-)gleichzeitigen Wandel von Steuerungsparadigmen in der Makroökonomik und in Zentralbanken
Jan Sparsam, Sarah Nies und Hanno Pahl
Beitrag zur Ad-hoc-Gruppe »Welches Wissen nutzen Zentralbanken? Ökonomik und Finanz-marktregulierung im Kontext der Krise«
Wer Steuerungsvisionen hat, sollte zum Arzt gehen? Verantwortlichkeiten für die Weltwirtschaftskrise in der Diskussion
In den wissenschaftlichen und journalistischen Diskussionen zur letzten Weltwirtschaftskrise wurde, teilweise mit harten Bandagen, eine mögliche Mitschuld oder gar das Versagen der Wirtschaftswissen-schaft und der durch sie beeinflussten wirtschaftspolitischen Organisationen diskutiert.
1
Wissenschaft-liche Kritik äußersten in erster Linie Sozialwissenschaftler/-innen und heterodoxe Vertreter/-innen der Wirtschaftswissenschaft. Die orthodoxe Makroökonomik hingegen zeigte sich wenig beeindruckt von der Kritik und ist mittlerweile wieder zum
business as usual
übergegangen. Fast zehn Jahre nach der Krise bleibt es bei dieser wissenschaftspolitischen Pattsituation: Während in der Mainstream-Makroökonomik nur wenig Selbstkritik zu verzeichnen ist, konstatieren die heterodoxen Ökonom/-innen und Sozialwissenschaftler/-innen einen fast schon kausalen Zusammenhang zwischen (mak-ro-
„ökonomischen Modellen und Steuerungsversagen der
dismal science
.
2
Unter soziologischen Ge-sichtspunkten leidet die Debatte allerdings daran, dass die Diskussion um die Überlegenheit bzw. das Unvermögen herrschender (makro-)ökonomischer Paradigmen lediglich auf konzeptueller Ebene ge-führt wird. Die orthodoxe Makroökonomik verteidigt ihren Anspruch auf die kognitive Hoheit über die Wirtschaft mit innerdisziplinär begründeten Argumenten
–
wissenschaftsinterne Kriterien wie Modell-konsistenz, Prognostik und anderes. Die Kritiker/-innen weisen wiederum vornehmlich auf den unrea-listischen Charakter der Modelle hin und bieten gegenstandsadäquatere Erklärungsalternativen an. Über die tatsächliche Anwendung der Modelle in wirtschaftspolitischen Steuerungskontexten finden sich jedoch kaum empirische Untersuchungen. Der vorliegende Abriss versteht sich als Beitrag zu einer
Soziologie ökonomischen Denkens
.
3
Er möch-te dem empirischen Einfluss makroökonomischen Wissens in wirtschaftspolitischen Steuerungsorga-
1
Für einen Überblick siehe Pahl und Sparsam (2013).
2
Dies betrifft hauptsächlich die Performativitätsdebatte, dazu neuerdings den Band von Boldyrev, Svetlova (2016).
3
Für einen Überblick siehe Maeße et al. (2016) und Lenger und Sparsam (2016).
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2 nisationen am Beispiel der Federal Reserve (Fed) genauer nachspüren. Die Sozialwissenschaften ge-hen üblicherweise
–
falls sie überhaupt den Zusammenhang von Wirtschaftswissenschaft und Steue-rungspolitik thematisieren
–
von einem direkten Einfluss wirtschaftswissenschaftlichen Wissens auf die Zentralbanken sowie andere wirtschaftspolitische Organisationen aus: Unter Berücksichtigung minimaler nationaler Kontingenzen wird die Implementation spezifischer Steuerungsmaßnahmen auf spezifische hegemoniale disziplinäre Entwicklungen innerhalb der Makroökonomik zurückgeführt.
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Die Geschichten der Makroökonomik und der Zentralbanken lesen sich dann nahezu wie historische Pa-rallelentwicklungen. Tatsächlich lässt sich in der Fed eine über den Verlauf der letzten 30 Jahre statt-
findende Verwissenschaftlichung feststellen ”vgl.
Marcussen 2006). Wissenssoziologisch betrachtet bleibt eine solche Feststellung jedoch unbefriedigend, sagt sie schließlich nichts über den konkreten Wissenstransfer zwischen akademischer Makroökonomik und Makroökonomik in Zentralbanken aus. An dieser Stelle geht es darum, diese strikte Zusammenhangsbehauptung durch die Gegenüberstel-lung des paradigmatischen Wandels in der Makroökonomik mit der Geschichte der steuerungsstrate-gischen Zäsuren in der Fed zu irritieren: So können im Vergleich der zentralen epistemischen Entwick-lungen in der Disziplin und in der Fed deren Ungleichzeitigkeiten herausgearbeitet sowie die Kon-textabhängigkeit der Wissensstrukturen als auch die Produktionsbedingungen des Wissens themati-siert werden. Im zweiten Kapitel steht dabei die Makroökonomik im Vordergrund, im dritten Kapitel die Federal Reserve. Das vierte Kapitel skizziert am Beispiel der Federal Reserve einen möglichen me-thodischen Zugang für die
soziologische Erforschung wirtschaftlichen Wissens in Steuerungskontexten
.
5
Die
Rational Expectations Revolution
in der Makroökonomik
Die Entwicklung der Makroökonomik lässt sich, ohne ins Detail gehen zu können, vornehmlich durch zwei Treiber erklären (siehe Tabelle 1):
erstens
durch spezifische Pfadabhängigkeiten, die sich aus der Gemengelage aus kognitiven Entwicklungen und epistemischen Konflikten ergeben. So setzen sich theoretische Fortentwicklungen im Streit um paradigmatische Hegemonie teilweise nur mühsam und mit zeitlichen Verzögerungen nach ihren initialen Grundlegungen durch. Was als disziplinärer Fort-schritt zu identifizieren ist, ist darüber hinaus hochgradig umstritten.
Zweitens
spielen externe Bedin-gungen, besonders Wirtschaftskrisen, eine wichtige Rolle für die Ausrichtung der Makroökonomik. Auch wenn es
–
wie das Beispiel der jüngsten Weltwirtschaftskrise eindrucksvoll zeigt
–
keine Anpas-sung wirtschaftswissenschaftlicher Theorienbildung aufgrund wirtschaftlicher Umwälzungen geben muss, haben realwirtschaftliche Transformationen in der Vergangenheit doch immer wieder einen entscheidenden Einfluss auf die paradigmatische Entwicklung in der Makroökonomik genommen. Als Teildisziplin ist die Makroökonomik
–
betrachtet man John Maynard Keynes
General Theory
(1964 [1939]) als ihr Gründungsdokument
–
noch keine 100 Jahre alt. Keynes formulierte in seinem wegweisenden Werk eine Agenda, welche Volkswirtschaften auf nationaler Aggregatebene zum Ge-genstand wirtschaftswissenschaftlicher Forschung machte. Vor allem aber beförderte er die Idee wirt-schaftswissenschaftlich angeleiteter wirtschaftspolitischer Steuerung (Backhouse 2002: 209), wodurch die Makroökonomik schließlich Eingang in die Planungsbüros der westlichen Industrienationen der
4
Nachzulesen etwa bei Fligstein et al. (2014), Holmes (2014) und Braun (2014).
5
Unser Beitrag dokumentiert Teilergebnisse des BMBF-Projekts
Vom Modell zur Steuerung. Der Einfluss der Wirtschaftswissenschaft auf die politische Gestaltung der Finanzmärkte durch Zentralbanken
an der LMU München, siehe dazu: http://www.ls2.soziologie.uni-muenchen.de/forschung/modell/index.html.
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3 1940er- und 50er-Jahre fand. Die Zielvariable der keynesianischen Wirtschaftspolitik war die Beschäfti-gungsquote. Die Schwerpunktsetzung auf die Verringerung der Arbeitslosigkeit war eine der Lehren, die aus der Großen Depression der 1930er-Jahre gezogen wurden.
Tabelle 1: Paradigmatische Zäsuren in der Makroökonomik
Entscheidend für das ingenieurhafte Wesen der Makroökonomik sollte die mathematische Interpreta-tion von Keynes werden, die in der Disziplin als
Neoklassische Synthese
kanonisiert ist: Der Ökonom John R. Hicks (1937) entwickelte mit seinem IS-LM-Modell eine mathematisierte Variante keynesiani-scher Zusammenhangsbehauptungen, die makroökonomische Aggregatgrößen als gesamtwirtschaft-liches Gleichgewicht modelliert.
6
Mit der Neoklassischen Synthese zementierte sich zugleich Modellie-rung als Telos makroökonomischer Theoriebildung im 20. Jahrhundert (vgl. Lucas 1983c: 218). Zu brei-terer Anwendung schaffte es vor diesem Hintergrund auch die sogenannte Phillips-Kurve, die
–
in der Modifikation von Samuelson und Solow (1960)
–
eine negative Korrelation zwischen Inflation und Ar-beitslosigkeit postuliert. Der pragmatische Charakter der Kurve ist unverkennbar in ihre Architektonik eingebaut, verhandeln sie ihre Erbauer schlie
ßlich als
menu of policy choices
”
Samuelson, Solow 1960: 192). In der Soziologie weitgehend unbekannt, hat sich in den 1970er-Jahren in der Makroökonomik ein nachhaltiger paradigmatischer Wandel vollzogen, der in der Disziplin selbst als
Rational Expectations Revolution
kanonisiert ist ”Taylor 1989; Miller 1994„. Ihr Erfolg hat erheblich mit einer Modellkrise in
der Disziplin zu tun: Mit der Stagflation der US-amerikanischen Wirtschaft der 1970er-Jahre schien der
6
Das Modell relationiert die Gleichgewichte aus dem Güter- (IS-Kurve) und dem Geldmarkt (LM-Kurve). Für einen Überblick siehe Pahl und Sparsam (2016: 155
–
161).
G R E A T D E P R E S S I O N
Keynes
General Theory
(1936) Geburt der modernen Makroökono-mik Neoklassische Synthese (1950er/60er) Pragmatische Integration von Keynes und Allgemeiner Gleichgewichtstheo-
rie ”Arbeitsteilung von Mikro
- und Makroökonomik)
G R E A T I N F L A T I O N
Monetarismus (1960er/70er), Lucas-Kritik (1970er), New Classical Macroeconomics
Revolutionierung
der Makroökono-mik, gleichgewichtstheoretische Re-duktion von Makro- auf Mikroökono-mik Macro Wars (1980er) Freshwater vs. Saltwater Economics
G R E A T M O D E R A T I O N
Neue Neoklassische Syn-these/New Consensus on Monetary Policy Re-Integration keynesianischer Bau-steine in einen mikrofundierten Theo-rierahmen
G R E A T R E C E S S I O N
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trade off
der Phillips-Kurve empirisch widerlegt, was zur akademischen Desavouierung des Modells führte (Hoover 1988: 214). Vollzogen wurde die Revolution durch die sogenannte Neue Klassische Makroökonomik, die schließlich den Keynesianismus der Neoklassischen Synthese aus dem Mainstream der Makroökono-mik verdrängte. Auch wenn die Theoreme der Neuen Klassischen Makroökonomik in nachfolgenden Strömungen teilweise aufgehoben oder modifiziert wurden, hat sie spezifische
benchmarks
makro-ökonomischer Theoriebildung gesetzt, die bis heute ihre Gültigkeit bewahrt haben. Die Rational Ex-pectations Revolution wurde maßgeblich durch die Schriften des späteren Alfred-Nobel-Gedächtnispreisträgers für Wirtschaftswissenschaften, Robert E. Lucas, vorangetrieben. Lucas richtete seine Kritik sowohl gegen die keynesianische Art der makroökonomischen Modellproduktion als auch gegen die Desiderate des
Monetarismus Friedmanscher Prägung. Der Monetarismus könne, ganz im
Gegensatz zum Keynesianismus, kein befriedigendes ökonometrisches
know how
vorweisen (Lucas 1983a: 67; Lucas 1983b: 104
–
105). Die keynesianischen Modelle wiederum seien sämtlich durch ein anderes schwerwiegendes Defizit geprägt. Der Hinweis auf dieses Defizit ist als Lucas-Kritik bekannt geworden:
[G]iven that the structure of
an econometric model consists of optimal decision rules of economic agents, and that optimal decision rules vary systematically with changes in the structure of series relevant to the decision maker, it follows that any change in policy will systematicall
y alter the structure of econometric models ”Lucas 1983b:
126). Diese Kritik ist in der Disziplin eingeschlagen (De Vroey
2016: 167„. Lucas Lösung für dieses Defizit ist
mit der Überwindung keynesianischer Annahmen und einer Rückkehr zu den (Neo-)Klassikern der Disziplin verbunden: Seine Herangehensweise ermöglicht die Mikrofundierung makroökonomischer Aggregate sowie ihre Modellierung als Gleichgewichte. Eine besondere Rolle nimmt dabei seine Adap-
tion der rationalen Erwartungen von John F.
Muth (1961) ein. Unter der Annahme unvollständiger Informationen werden Akteur/-innen modelliert, die die Konsequenzen wirtschaftspolitischer Steue-rungsmaßnahmen antizipieren. Im Modell verhalten sich die Akteur/-innen dementsprechend so, als ob sie das Zusammenspiel der Modellparameter kennen (Hoover 1988: 14; Snowdon, Vane 2005: 228). Keynesianische Modelle sind
–
dies ist der Kern der Lucas-Kritik
–
nicht dazu in der Lage, Änderungen in der wirtschaftlichen Orientierung der Akteur/-innen zu modellieren, wenn sich die wirtschaftspoliti-sche Programmatik ändert. Lucas kann dagegen mit seinem Modell makroökonomische Aggregate mikrofundieren
–
sprich aus individuellem Optimierungshandeln ableiten
–
und den Konjunkturzyklus als Gleichgewicht modellieren.
7
Zwar treibt die Makroökonomik nach Lucas die Fiktionalität ihrer Modellannahmen auf die Spitze, die typische soziologische Kritik an der Realitätsferne makroökonomischer Modelle, prallt allerdings
an der Konzeption der Lucasschen Modellbildung ab.
Die von ihm eingebrachte Variante der Nutzen-
maximierung verstehen die Neuklassiker als Erkenntnisprinzip ”
Spahn 2016: 130), das Gleichge-wichtspostulat als Analyseperspektive (Snowdon, Vane 2005: 281). Lucas selbst bezeichnet rationale
Erwartungen als
consistency axiom
und den Versuch, den Begriff empirisch zu validieren als
va-cuous
oder gar
silly
”1987: 13, Anm. 4„. Modelle würden gerade durch ihren abstrakten Charakter
7
Hoover (1988: 225) hebt den walrasianischen Charakter der Modelle als das eigentlich Entscheidende hervor und versteht rationale Erwartungen als daraus abgeleitete Annahme. Zu den technischen De-tails des Modells siehe auch Snowdon, Vane (2005: Kap. 5).
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5 oder gar durch ihre kontrafaktischen Annahmen eine Steuerbarkeit ermöglichen, die sich gewinnbrin-gend a
uf die ökonomische Wirklichkeit übertragen lasse:
models are fictitious economies and by ma-nipulating them, we can learn about the functioning of real economies
”De
Vroey
2016: 179„. Die
Fik-tionalität
der Modelle wird demnach als Vorteil verstanden,
der ihre Kontrollierbarkeit gewährleistet. Die dazugehörigen Annahmen müssen in der Modellwelt bestehen, was sich an der Wirklichkeit mes-sen lassen muss, sind die Ergebnisse der Modellrechnung. In der Makroökonomik hat sich durch diese Vorteilsvermutung eine Doppelstrategie durchgesetzt (vgl. Athreya 2013: 159): Auf der einen Seite ist es legitim, Rückschlüsse aus den Mechaniken der Modellwelten auf die Realökonomie zu ziehen, ob-wohl sich die Konstruktion von Modellwelten in erster Linie am in der Disziplinenkultur durchgesetz-ten Rigiditätsanspruch zu messen hat und nicht an empirischen Erfordernissen. Auf der anderen Seite führen Unternehmungen, Modelle realistischer zu gestalten, zu maßgeblichen Theorieinnovationen. Derartige Umbauarbeiten folgen allerding
s unabdingbar dem bisherigen Stand der Kriterien für gute Modellbildung: [M]
acroeconomic theory is seen as a language, and any model respecting its syntax is welcome
”De
Vroey 2016: 291). Die konkrete Steuerungsvision der Neuen Klassischen Makroökonomik zeichnet sich in erster Linie
durch Abstinenz ”
Pahl 2015) aus. Die Schlussfolgerungen der Neuen Klassischen Makroökonom/-innen über wirtschaftspolitische Maßnahmen entspringen der Logik der in die Zukunft gerichteten Nutzenmaximierung. Wenn Marktakteur/-innen mit rationalen Erwartungen in einem gleichgewichti-gen Konjunkturzyklus modelliert werden, laufen Versuche, sie durch eine konjunkturfördernde keyne-sianische Politik zu beeinflussen, in der Modellwelt ins Leere (Lucas 1983c: 234). Thomas Sargents und
Neil Wallace ”1975„ Annahme der
Ineffektivität von Wirtschaftspolitik (
policy ineffectiveness proposition
) zieht einen besonders strikten Schluss aus der Lucas-Kritik: Geld- und Fiskalpolitik haben keine syste-matische Wirkung auf die Realwirtschaft. Eine stimulierende Wirtschaftspolitik habe deswegen keine Effekte. Finn Kydlands
und Edward Prescotts ”1977„ ebenfalls an Lucas Überlegungen anschließende
Auseinandersetzung mit der Zeitinkonsistenz (
time inconsistency
) spricht für eine transparente regelge-leitete statt für eine diskretionäre Wirtschaftspolitik. Nur durch eine langfristige wirtschaftspolitische Regel (zum Beispiel die Einhaltung eines Inflationsziels) sei gewährleistet, dass Marktakteur/-innen die Wirtschaftspolitik für glaubwürdig (
credible
) halten. Ändert sich die Wirtschaftspolitik kurzfristig nach den Präferenzen der Entscheidungsträger/-innen, führt dies zu suboptimalen Ergebnissen, da die Marktakteur/-innen versuchen, zukünftige diskretionäre Maßnahmen zu antizipieren. Retrospektiv lässt sich sagen, dass die Lucas-Kritik und die daran anschließende Neue Klassische Makroökonomik tatsächlich einen paradigmatischen Unterschied ums Ganze gemacht haben: Die
Modellierungskultur
der akademischen Makroökonomik hat sich nachhaltig gewandelt. Sämtliche an sie anschließenden mainstreamtauglichen Programmatiken in der Makroökonomik, namentlich Real Bu-siness Cycle-Modellierung und der Neu-Keynesianismus, messen sich an der Lucas-Kritik. Aus soziolo-gischer Perspektive wurde mit dem Einzug dieser neuen Modellierungskultur allerdings auch das
Wirt-schaftsbild
der Makroökonomik entscheidend umgeprägt:
Das Postulat, die innere Konsistenz dieser [wirtschaftlichen]
Entscheidungen an die erste Stelle zu setzen, erzeugt ein holistisches Bild der Ökonomie: Die Wirtschaft als Ganze bearbeitet Störungen aus den Bereichen Technik und Umwelt, kennt jedoch keine internen Koordinations- und Verteilungskonflikte. Sie ist auch bei äußeren Her-ausforderunge
n stets in einem inneren Gleichgewicht ”
Spahn 2016: 181
–
182).